Gesellschaft

Teil der arabischen Welt...

Afrirabien. Es gibt keinen Staat, in dem sich arabische und afrikanische Einflüsse derart treffen wie im Land zwischen Senegal und Algerien. Ein Gang über den Wochenmarkt in Nouakchott wirkt daher immer ein bisschen wie Dakhla und ein bisschen wie Dakar. Die jahrhundertelange Geschichte im Einflussbereich westafrikanischer und maghrebinischer Großreiche hat ihre Spuren hinterlassen. Wie selbstverständlich hört man in den Straßen von Nouadhibou, Atar und Tidjikja das Hassaniya neben Wolof, Pulaar, Soninke und der ehemaligen Kolonialsprache Französisch.

Mauretanien bedeutet Land der Mauren. Obwohl sich das heute nicht mehr gebräuchliche Mohr von griech. mauros ableitet und seit Jahrhunderten primär Menschen schwarzafrikanischer Herkunft bezeichnet, nennt man die arabisch-berberstämmigen Mauren in Mauretanien Bidhan (von arab. abyad, weiß). Hierin eine optisch homogene Gruppe zu erkennen, wird den oft komplexen ethnischen Zugehörigkeiten nicht gerecht. So gibt es unter den schätzungsweise 30 % Bidhan in Mauretanien auch Schwarze. Muttersprache der Bidhan ist das mauretanische Arabisch, Hassaniya. Ihr kultureller Bezug ist die arabische Welt, vor allem der Großraum Maghreb. Da die Bidhan seit jeher die politische Elite in Mauretanien bilden, ist es keine Überraschung, dass diese Ausrichtung auch international politische Dimensionen angenommen hat. Seit 1989 etwa ist Mauretanien Mitglied der Union des Arabischen Maghreb. Historisch waren die Soudans, ein Teil der schwarzen Bevölkerung, immer enger mit der französischen Sprache verbunden als die Bidhan. Mag es unter letzteren auch heute noch viele geben, die des Französischen überhaupt nicht mächtig sind, so sinkt diese Zahl seit Jahrzehnten kontinuierlich.

...und Teil Afrikas

Das Stammesdenken ist bei dieser Bevölkerungsgruppe am stärksten ausgeprägt. Dabei sind die Zugehörigkeiten traditionell mit Berufsgruppen verbunden, die ein unterschiedlich hohes Ansehen in der Gesellschaft genießen. Entstammt jemand etwa den Kreisen der Zāwiya gilt er als Wissender der Religion (ālim, Pl. Ulamā). Die Laqlan hingegen sind als Krieger bekannt. Die Muallimin sind die Handwerker und die Igawwin entstammen der westafrikanischen Griot-Tradition und gelten als begnadete Musiker. Dimi Mint Abba war eine Igawwin und als traditionelle Sängerin im Laufe ihres Lebens zu einem Nationalsymbol geworden, dessen es kein zweites gibt. Dass die Stammeszugehörigkeit auch heute noch ein elementarer Bestandteil der gesellschaftlichen Identität ist, zeigt sich daran, dass jene, die musizieren, sich oft nicht dabei filmen lassen wollen. Videos von Ed-Sheeran-Covern z.B. werden nur verdeckten Gesichtern versandt. So wohnt dem lachenden Smiley, der das Gesicht verbirgt, durchaus eine ernste Bedeutung bei. Nur den Igawwin kommt die Rolle der Musiker zu. Einige Bidhani-Familien haben es in der Geschichte zu großer Macht und Berühmtheit gebracht. Die Kunta etwa, ein maurischer Stammesverband, waren wirtschaftlich und religiös besonders einflussreich und brachten einige der bekanntesten mauretanischen Gelehrten hervor.

Daneben gibt es die Haratin (von arab. hurr, frei), die Nachkommen ehemaliger Sklaven. Sie stellen etwa 40 % der Gesamtbevölkerung. Wenngleich von schwarzer Hautfarbe, ist durch die kulturelle Bindung an ihre früheren Besitzer im Laufe der Jahrhunderte Hassaniya auch zu ihrer Muttersprache geworden. Sklaverei allerdings ist in Mauretanien kein weit zurückliegendes Relikt almoravidischer Tage, sondern wurde erst 1981 abgeschafft und 2007 unter Strafe gestellt. Gerade fernab der großen Städte leben ehemalige Sklaven, die aufgrund bleibender wirtschaftlicher Abhängigkeit nach wie vor bei ihren ehemaligen "Besitzern" leben. Die Entwicklung geht eindeutig in eine positive Richtung, aber es braucht Generationen, um antiquierte Traditionen zu brechen und Abhängigkeiten zu überwinden. Sklaverei ist in Mauretanien ein Tabuthema. Die Bidhan und Haratin leben über das gesamte Land verteilt, finden sich allerdings seltener im äußersten Süden.

Eine vielfältige Gesellschaft

Die dritte große Gruppe in der Gesellschaft (ca. 30 %) sind die Soudans (von arab. sudān, schwarz), die sich wiederum in fünf Volksgruppen unterteilen. Im Grunde bezeichnet Soudans keine wirkliche Volkszugehörigkeit, sondern nur die sprachliche und kulturelle Abgrenzung zu den Hassaniya-Sprechern. Dabei sind sie in sich kulturell und sprachlich divers. Die Tukulor sprechen Pulaar, die Soninké Soninke, die Wolof Wolof, die Bambara Bambara und die Fulbe Fulfulde. Die drei erstgenannten Gruppen stellen dabei die zahlenmäßig größten dar. Lingua franca aller fünf Gruppen ist das Französische, das sie die sprachlichen Barrieren untereinander überwinden lässt und somit einen wesentlichen Teil zu einer Kollektividentität beiträgt. Wie die Bidhani sich traditionell der arabischen Welt zurechnen, so sehen sich die Soudans häufig am stärksten mit den schwarzafrikanischen Nachbarländern verbunden – allen voran mit dem Senegal. Unterschiedliche sprachliche und ethnische Zugehörigkeiten haben in der Vergangenheit bereits zu erheblichen Problemen geführt (1989/90). Doch mag auch mancher Konflikt von einst noch nicht aufgearbeitet sein, sind dennoch enorme Fortschritte zu verzeichnen. Die Zeiten von Grenzkonflikten und paramilitärischen Verbänden zur Befreiung der Schwarzen in Mauretanien jedenfalls scheinen vorbei zu sein. Die Soudans finden sich vor allem im Süden des Landes im Gebiet des Senegalflusses, allerdings zieht es die Menschen auch zwecks Arbeit in die größeren Städte wie Nouakchott, Nouadhibou und Zouérat.

Neben diesen drei großen Bevölkerungsgruppen lebt in Mauretanien noch eine Zahl Flüchtlinge aus Mali. Einige Gastronomien werden von Syrern und Libanesen geführt, die seit wenigen Jahren bis Jahrzehnten im Land leben. Der chinesische Einfluss in Mauretanien ist enorm und zeigt sich nicht nur an den zahlreichen Chinesen in der Hauptstadt (ca. 2000), die häufig Diplomaten oder Geschäftsleute sind. Auch wichtige Unternehmen sind in chinesischer Hand. Chinesische Shops finden sich in den meisten größeren Städten Mauretaniens.
In einer so heterogenen Gesellschaft braucht es einen Kitt, der zusammenhält. Im Bilad Shinqit ist das der Islam. Sunnitisch, malikitisch, stark sufisch beeinflusst. Mehr als 99 % der Bevölkerung sind Muslime, der Islam ist Staatsreligion und tief in der Gesellschaft verankert. Mauretanien ist auch heute noch für seine Gelehrsamkeit bekannt, das religiöse Wissen – auch der einfachen Menschen – ist im Vergleich zu anderen arabischen Staaten sehr stark ausgeprägt. Die Mahdara nimmt als erste – und für viele einzige - Lernstätte eine herausragende Bedeutung im Bereich der Bildung ein. Öffentlich gemeinsam betende Kaufleute, volle Moscheen sowie Männer und Frauen, die ihren Gebetsteppich ausrollen, sind ein alltäglicher Anblick. Diese Frömmigkeit stellt zweifelsohne die größte Möglichkeit zur kollektiven Identität einer ganzen Gesellschaft dar.

Die Schönheit Adrars

Das Adrar-Plateau ist das begehrteste Reiseziel für Besucher Mauretaniens und eingebettet in vier unserer Touren. Ouadane, Chinguetti, Terjit und zum Abschluss eine Zugfahrt nach Nouadhibou stehen auf dem vielseitigen Programm.
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